Unfallschaden auszahlen lassen - was ist wichtig?
8. Aug. 2021 | Von Tim Ruhoff
Sie sind Fuhrparkmanager und ein Mitarbeiter hatte einen unverschuldeten Unfall? Sie wollen den Unfallschaden nicht reparieren lassen. Stattdessen wollen Sie sich von der Versicherung den Unfallschaden auszahlen lassen. Der typische Fall ist ein älteres Auto mit einigen Kratzern. Jetzt kommt eine weitere Delle hinzu in einem - bisher unbeschädigten - Bauteil. Vielleicht stört der Schaden nicht und das Auto kann trotzdem weitergefahren werden. Vielleicht wollen Sie das Auto in einem Autohaus in Zahlung geben und dem Händler den Schaden abtreten. Oder der Schaden wird günstig repariert – von Ihren eigenen Facharbeitern oder in einer preiswerten Werkstatt. Können Sie sich den Unfallschaden auszahlen lassen? Was müssen Sie beachten?
Die fiktive Abrechnung
An einem Fahrzeug ist bei einem unverschuldeten Unfall ein Schaden entstanden. Sie wollen sich das Unfall Geld von Versicherung auszahlen lassen ohne zu reparieren. Sie rechnen also mit der gegnerischen Versicherung direkt ab. Dieser Vorgang heißt fiktive Abrechnung. Wollen Sie sich den Unfallschaden auszahlen lassen, müssen Sie Eigentümer des Fahrzeugs sein. Bei einem Leasingfahrzeug können Sie sich den Versicherungsschaden nicht auszahlen lassen. Die fiktive Abrechnung ist dann nicht möglich.
Wichtig: Wollen Sie sich den Unfallschaden auszahlen lassen, dann muss der Schaden genau untersucht und vollständig aufgenommen werden. Unter einem beschädigten Bauteil kann ein weiterer Schaden entstanden sein, der nicht auf den ersten Blick sichtbar ist.
Ein gut erhaltenes, relativ junges Fahrzeug sollten Sie in der Fachwerkstatt reparieren. Den Unfallschaden nicht reparieren zu lassen ist unrentabel. Eine Auszahlung lohnt sich nicht.
Kostenvoranschlag oder Gutachten - was ist für Sie sinnvoller?
Um sich einen Versicherungsschaden auszahlen zu lassen, brauchen Sie einen Kostenvoranschlag oder ein Gutachten. Ein Gutachten hat gegenüber dem Kostenvoranschlag einige Vorteile. Gibt es Streit um das Ausmaß des Schadens, ist ein Kostenvoranschlag gerichtlich nicht verwertbar. Brauchen Sie dann ein Gutachten, haben Sie nicht mehr unbedingt Anspruch darauf. Wollen Sie sich die Versicherung Kostenvoranschlag auszahlen lassen, dann thematisiert dieser nicht die Wertminderung. Das Gutachten hingegen macht eine Aussage, ob – und in welcher Höhe - eine merkantile Wertminderung entstanden ist. Die gegnerische Versicherung muss den Gutachter bezahlen. Nehmen Sie am besten einen freien, unabhängigen Gutachter.
Der Gutachter stellt u. a. die Reparaturkosten fest. Wenn Sie sich den Kfz Schaden auszahlen lassen, bekommen Sie die Summe meist nicht sofort und anstandslos überwiesen. Gesellschaften nehmen an den Reparaturkosten Kürzungen vor. Beispielsweise wird die Mehrwertsteuer abgezogen, das ist rechtlich einwandfrei. Wenn keine offizielle Reparatur erfolgt, wird keine Mehrwertsteuer fällig.
Darf die Versicherung den Stundensatz kürzen?
Ja und Nein. Das Gutachten wird den Stundensatz einer Fachwerkstatt ansetzen (z. B. 150,- Euro). Die Versicherung kann eine Partnerwerkstatt mit niedrigerem Stundensatz vor (z. B. 90,- Euro) vorschlagen. Die Kalkulation wird entsprechend heruntergerechnet.
Wollen Sie sich einen Versicherungsschaden auszahlen lassen, gilt die Regel: Ist das Auto jünger als drei Jahre, muss die Gesellschaft immer den Verrechnungssatz einer Fachwerkstatt zahlen. Ist das Fahrzeug älter als drei Jahre, darf die Versicherung - grundsätzlich - den Verrechnungssatz kürzen.
Ausnahmen:
- War das Fahrzeug immer in der Fachwerkstatt zur Wartung, bekommen Sie den vollen Verrechnungssatz. Zum Nachweis reicht eine Kopie des Servicehefts oder ein Ausdruck des digitalen Servicehefts.
- Die Partnerwerkstatt ist unzumutbar weit weg. Hier kann Ihnen ein erfahrener Anwalt weiterhelfen. Die gegnerische Versicherung muss einen Anwalt zahlen. Nutzen Sie diese Möglichkeit.
- Für bestimmte Reparaturen benötigt die Werkstatt Spezialwerkzeuge. Sonst kann die Reparatur nicht fach- und sachgerecht im Sinne des Herstellers durchgeführt werden. Verfügt die Partnerwerkstatt nicht über diese Spezialwerkzeuge, darf der Stundenverrechnungssatz nicht gekürzt werden.
- Die vorgeschlagene Partnerwerkstatt muss technisch genauso ausgerüstet sein, wie es der Hersteller vorschreibt. Wurde bei dem Fahrzeug z. B. ein Bauteil aus Aluminium beschädigt, so braucht die Werkstatt einen abgetrennten Arbeitsplatz. Prüfen Sie, ob die Partnerwerkstatt einen entsprechenden Arbeitsplatz anbietet. Wenn nicht, darf der Stundensatz nicht gekürzt werden.
Wie beweise ich, dass das Fahrzeug repariert wurde?
Sie wollen sich einen Unfallschaden auszahlen lassen. Das Fahrzeug hat einen Schaden, z. B. am rechten Kotflügel. Die Facharbeiter in Ihrem Fuhrpark nehmen die Reparatur selbst vor. Zwei Wochen danach fährt dem Mitarbeiter an derselben Stelle jemand ins Auto. Alle Schäden an Autos werden in der sogenannten HIS Datei gespeichert. Die Versicherung zahlt nicht, Ihr Auto ist als nicht repariert gespeichert. Dokumentieren Sie deshalb den Reparaturfortschritt. Lassen Sie insbesondere ein Foto des fertigen Autos mit einer Tageszeitung und gut lesbarem Datum machen. Tipp: Lassen Sie die Fotos durch Ihren Anwalt an die gegnerische Versicherung schicken. Dann können Sie sich auch den nächsten Versicherungsschaden auszahlen lassen.
Haben Sie Anspruch auf Nutzungsausfall?
Ja, in der Regel ermittelt der Gutachter in seinem Gutachten die Höhe des Nutzungsausfalls. Die Höhe ist u. a. abhängig von Fahrzeuggröße, Motorleistung und Dauer der Reparatur. Bei Reparatur in Eigenregie lassen Sie sich – wenn notwendig - vom Gutachter die erneute Verkehrs- und Betriebssicherheit Ihres Autos attestieren.
Bei der Reparatur wird ein weiterer verdeckter Schaden entdeckt
Grundsätzlich ist das kein Problem. Steht der verdeckte Schaden in Zusammenhang mit dem ersten Schaden, zahlt die gegnerische Versicherung.
Auch hier ist ein Gutachten von großem Vorteil. Natürlich wird der Gutachter versuchen, den kompletten Schaden aufzunehmen. Stellen Sie bei der Reparatur trotzdem einen verdeckten Schaden fest, bitte nicht fertig reparieren. Sonst können Sie ihn nicht mehr beweisen. Melden Sie es dem Gutachter, er wird den verdeckten Schaden mit Fotos dokumentieren. Das Nachtragsgutachten schickt er – oder Ihr Anwalt - an die Gesellschaft.
Nachteil an der fiktiven Abrechnung
Ein gravierender Nachteil der fiktiven Abrechnung kann der Verlust der Durchrostgarantie sein. Viele Fahrzeuge haben mindestens zehn Jahre Garantie. Nehmen wir an, dass Sie sich einen Versicherungsschaden auszahlen lassen, selbst reparieren und ein paar Jahre später Rost bekommen. Dann haben Sie keine Garantie mehr. Selbst wenn der Rost (z. B. am Radlauf) nicht unbedingt etwas mit der Reparatur zu tun hat. Wurde das Fahrzeug nicht in einer Fachwerkstatt repariert, erlischt die Garantie des Herstellers. Nur ein Meisterbetrieb kennt alle Vorgaben des Herstellers: Erfahrene Mechaniker, Spezialwerkzeuge, muss ein Karosserieteil geklebt oder gelötet werden etc.
Dürfen Sie nach einer fiktiven Abrechnung das Auto noch reparieren lassen?
Ja. Sie haben sich den Schaden ausbezahlen lassen und stellen fest, dass Sie das Fahrzeug lieber instand setzen wollen? Dann können Sie sich umentscheiden und eine Reparatur in der Fachwerkstatt durchführen lassen. Klären Sie es vorher kurz mit Ihrem Anwalt oder der Versicherung ab. Sie brauchen eine offizielle Rechnung von der Fachwerkstatt. Und natürlich - Sie werden nicht zweimal bezahlt.
Ein weiterer Vorteil des Gutachters: Wird die Reparatur teurer als im Gutachten angegeben, dann ist das nicht Ihr Problem. Muss die Werkstatt mehr Teile ausbauen oder ist die Instandsetzung aufwendiger als geplant? Sie bleiben auf diesen Kosten nicht sitzen. Werkstatt, Gutachter und Versicherungsgesellschaft müssen sich einigen.
Bekomme ich jede Reparatursumme ausbezahlt?
Nein. Sie können sich nicht jeden Versicherung Schaden auszahlen lassen. Bei der fiktiven Abrechnung hat die Versicherung die Möglichkeit, auf der Basis des Totalschadens abzurechnen. Diese Möglichkeit besteht, auch, wenn Reparaturkosten plus Wertminderung den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Die Abrechnung auf Basis des wirtschaftlichen Totalschadens ist möglich, wenn die Reparaturkosten mindestens 50 % des Wiederbeschaffungswertes betragen. Der Wiederbeschaffungswert des verunfallten Fahrzeugs ist der Wert des Fahrzeugs eine Sekunde vor dem Unfall. Der Gutachter stellt ihn fest.
Als Beispiel: Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegt bei 10.000 € und die Reparaturkosten betragen 5.000 €. 50 % des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs sind 5.000 €. Die Reparaturkosten von 5.000 € entsprechen also 50 % des Wiederbeschaffungswertes und werden ausgezahlt. Zweites Beispiel: Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegt bei 10.000 € und die Reparaturkosten bei 6.000 €.
50 % des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs sind 5.000 €. Die Reparaturkosten von 6.000 € sind höher. Sie entsprechen 60 % des Wiederbeschaffungswertes. Die Summe von 6.000 € zahlt die Versicherung nicht mehr aus. Sie rechnet auf Basis des wirtschaftlichen Totalschadens ab, Sie bekommen maximal 5.000 €.
Lassen Sie das Auto in einer Fachwerkstatt reparieren, so besteht kein Raum für die Abrechnung auf Basis des wirtschaftlichen Totalschadens. Dann muss die gegnerische Versicherung die Reparaturkosten übernehmen. Vorausgesetzt, die Reparaturkosten übersteigen nicht den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs.